„Die gesamte Branche ist gefordert.“

„Die gesamte Branche ist gefordert.“

Professor Dr. Martin Becker gibt im Interview Auskunft zu seiner Forschung über Energieeffizienz durch Gebäudesystemtechnik
Gebäudedigital: Professor Becker, Sie können auf eine Reihevon Veröffentlichungen und Vorträgen zum Thema ‚Energieeffizienz durch Gebäudeautomation‘ zurückblicken. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie bisher bei Ihrer Forschung und durch den Kontakt zu Anwendern der Technik gewinnen konnten?

Becker: In der Praxis besteht ein hohes Einsparpotenzial an Energie- und Betriebskosten bei Einsatz eines auf die jeweilige Anwendung zugeschnittenen Gebäudeautomations- und Gebäudemanagementkonzepts. Leider stelle ich immer wieder fest, dass bei Investoren und Betreibern immer noch wenig bekannt ist, dass und wie sich ohne großen investiven Aufwand durch Maßnahmen im Bereich der Raum- und Gebäudeautomation und einer darauf aufbauenden optimierten Betriebsführung Energie- und Betriebskosten einsparen lassen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass es leider nur wenige wissenschaftlich-methodisch fundierte Untersuchungen gibt, die ein konkretes Einsparpotenzial durch Raum- und Gebäudeautomation belegen. Hier ist noch erheblicher Bedarf für theoretische und experimentelle Untersuchungen vorhanden.

Gebäudedigital: Wie gehen Sie vor, wenn Sie die Energieeffizienz von Gebäuden mit Systemtechnik überprüfen?

Becker: Die Energieeffizienz von Anlagen oder sogar ganzen Gebäuden zu bewerten bedeutet nicht, nur den Energieverbrauch zu messen und auszuwerten, sondern diesen Verbrauch (Aufwand) ins Verhältnis zu der bereitgestellten Nutzenergie (Nutzen) in Form von Wärme, Kälte, Lüftung oder Beleuchtung zu setzen. In der Praxis ist dies nur mit einem erheblichen messtechnischen Aufwand durch ein systematisches Monitoring möglich. Wichtig hierbei ist auch, dass zur Bewertung der Energieeffizienz immer die konkreten Randbedingungen wie z.B. Klimadaten berücksichtigt werden müssen, um belastbare Aussagen zu erhalten.

Gebäudedigital: Bei früheren Studien gab es Probleme mit der Bewertung der Daten, da nicht bei allen Gebäuden identische Ansätze bzw. Ausgangswerte zur Berechnung der Energieeinsparung verwendet wurden. Hat sich die Situation heute verbessert?

Becker: Bei der Planung haben wir mittlerweile mit der DIN V18599 eine Methode zur Verfügung, den Nutz-, End- und Primärenergiebedarf von Gebäuden für Heizung, Kühlung, Lüftung und Beleuchtung vergleichend zu bewerten. Zu beachten ist, dass wir hierbei immer ein bestimmtes Nutzungsprofil und fest definierte Randbedingungen (z.B. Klimadaten) annehmen, die in der Praxis bei einer konkreten Nutzung erheblich von diesen Referenzbedingungen abweichen können. Daher dürfen Bedarfswerte nicht mit Verbrauchswerten verwechselt werden. Aber auch bei real im laufenden Betrieb gemessenen Verbrauchsdaten sollten immer die Nutzungsrandbedingungen und aktuellen Klimabedingungen bei einem Benchmarking zwischen verschiedenen Gebäuden an unterschiedlichen Standorten im Sinne einer systematischen Bereinigung der Energieverbrauchsdaten berücksichtigt werden. Die Richtlinie VDI3807 liefert hierzu die notwendigen systematischen Berechnungsgrundlagen.

Gebäudedigital: Oftmals spielen mehrere Maßnahmen zusammen, wenn es um Energieeinsparungen durch elektrische Geräte geht. Eine moderne Heizungsanlage kann ebenso wie die intelligente Regelungstechnik dazu beitragen, dass Heizenergie gespart wird. Wie kann man eine Verfälschung der Messergebnisse vermeiden?

Becker: Zunächst muss hier zwischen experimentellen und theoretischen Untersuchungen unterschieden werden. Bei theoretischen Untersuchungen können immer wieder die gleichen Randbedingungen für Vergleichsberechnungen verwendet werden. Experimentelle Untersuchungen gestalten sich dagegen ungleich schwieriger, da die Randbedingungen variieren und insbesondere der Nutzer einen starken Einfluss als ‚Störgröße‘ hat. Hier liegt immer eine gewisse Unschärfe, die abgeschätzt und berücksichtigt werden muss.

Gebäudedigital: In einigen Seminarräumen im Technikum der Hochschule Biberach messen Sie den Einfluss von Bus- und Kommunikationstechnik. Gibt es schon Ergebnisse?

Becker: Mit Beginn der Heizperiode 2009/2010 haben wir mittlerweile drei vergleichbare Seminar-Räume im Technikum mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad angelehnt an EN15232 bzw. VDI3813 mit umfangreicher Sensorik, Aktorik und Messtechnik ausgestattet. Die Räume werden nunmehr über zwei Winter- und Sommerperioden messtechnisch detailliert erfasst und ausgewertet. Ziel ist es, den Einfluss unterschiedlicher Automatisierungsgrade A,B und C auf den Energieverbrauch von Räumen basierend auf experimentellen Untersuchungen zu erhalten. Erste Auswertungen und Zwischenergebnisse sind nach der ersten Winterperiode im Frühjahr 2010 zu erwarten.

Gebäudedigital: In ihren Studien haben Sie nachgewiesen, dass Gebäudeautomation hohe Energieeinsparpotenziale birgt. Bisher ist die Gebäudeautomation aber kein Teil der aktuellen Energieeinsparverordnung (EnEV). Sehen Sie eine Chance, dass sich dies in Zukunft ändern wird?

Becker: Es ist richtig, dass in der aktuellen EnEV keine konkreten Funktionen der Raum- oder Gebäudeautomation berücksichtigt werden. Es ist wünschenswert, dass mit der nächsten Novellierung der EnEV 2012 auch der Einfluss und Stellenwert der Raum- und Gebäudeautomation auf die Energieeffizienz von Gebäuden adäquate Berücksichtigung findet. Allerdings wird es weder auf normativer noch auf politischer Ebene leicht, die Gebäudeautomation in der neuen EnEV zu verankern. Hier ist die gesamte Branche mit allen beteiligten Verbänden gefordert, möglichst frühzeitig Einfluss auf die Novellierung der nächsten EnEV zu nehmen. Dazu werden aber auch belastbare Aussagen zu Energieeinsparpotenzialen durch Raum- und Gebäudeautomation gefordert. Damit diese Funktionen zukünftige in der EnEV berücksichtigt werden können, ist es zwingend erforderlich, dass möglichst viele belegbare und belastbare Ergebnisse zu Einsparpotenzialen durch Raum- und Gebäudeautomation vorliegen. Dazu sollen unsere Untersuchungen im Technikum einen ersten Beitrag leisten, die aber selbstverständlich nicht ausreichend sein werden und durch weitere systematische Untersuchungen in realen Gebäuden ergänzt werden müssen.

Gebäudedigital: Glauben Sie, eine Berücksichtigung in der EnEV würde der Bustechnik zu einem höheren Bekanntheits- und Nutzungsgrad verhelfen?

Becker: Primär ist es wichtig zu kommunizieren, dass Funktionen der Raum- und Gebäudeautomation – unabhängig von der konkreten technischen Realisierung – ein Energieeinsparpotenzial haben. Moderne Bus- und Kommunikationssysteme sind hierbei die notwendige technologische Basis, um dieses Energieeinsparpotenzial wirtschaftlich zu erschließen. Bei aller Aktualität des Themas Energieeffizienz sollten aber auch nicht die Aspekte Nutzerkomfort, Behaglichkeit, Sicherheitsbedürfnis und Flexibilität aus dem Auge verloren werden, wobei Bus- und Kommunikationssysteme die Basistechnologie für wirtschaftliche Lösungen in der Umsetzung darstellen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kasten: Zur Person

Professor Dr. Martin Becker lehrt seit zehn Jahren an der Hochschule Biberach im Bereich MSR-Technik und Gebäudeautomation. Außerdem beschäftigt er sich am Institut für Gebäude- und Energiesysteme mit Themen der angewandten Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten. Neben seiner Hochschultätigkeit ist er selbständig im eigenen Ingenieurbüro sowie als Berater, Seminarleiter und Gutachter für Verbände, Institute und die Industrie tätig. Zurzeit arbeitet Prof. Becker unter anderem an einer von KNX Deutschland in Auftrag gegebene Studie zum Thema ‚Energieeffizienz durch Raum- und Gebäudeautomation in Wohn- und Nichtwohnungsgebäuden‘.

KNX Deutschland c/o. ZVEI e.V.
www.knx.de

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