Baukasten für mehr Energieeffizienz

Die jüngst eingegangene Kooperation mit ArcelorMittal ermöglicht Schneider Electric die überwiegende Verwendung von recyceltem und auf Basis von erneuerbaren Energien hergestelltem Stahl für Schaltschränke und Gehäuse.
Die jüngst eingegangene Kooperation mit ArcelorMittal ermöglicht Schneider Electric die überwiegende Verwendung von recyceltem und auf Basis von erneuerbaren Energien hergestelltem Stahl für Schaltschränke und Gehäuse.Bild: Schneider Electric GmbH

Herr Hettig, kaum ein Unternehmen bestreitet heute noch, dass eine Investition in Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sich nicht nur für die Umwelt, sondern auch für den eigenen Geldbeutel mittelfristig auszahlt. Dennoch investiert laut einer Studie der Strategieberatung BCG und des Finanzinvestors Argos Wityu vom Oktober 2023 nur 11 Prozent der europäischen Mittelständler in die Reduktion von Klimagasen. Ihr Kollege Michael Krausnick, Strategic Sales Manager Energy & Sustainability Services, erwähnte, dass sogar Unternehmen, die sich von Schneider Electric im Hinblick auf Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit beraten lassen, zögern, den entscheidenden Schritt zu einer Investition zu gehen. Wie kommt es zu dieser Haltung wider besseren Wissens?

Markus Hettig: Es ist leider häufig so, dass diejenigen, mit denen wir das Nachhaltigkeits-Consulting durchführen, nicht diejenigen sind, die letztendlich über Investitionen zur Reduktion von Klimagasen in ihrem Betrieb entscheiden. Unsere Ansprechpartner müssen also vielfach erst einmal ihre Geschäftsführung davon überzeugen, dass es Sinn macht, jetzt Geld auszugeben, um in Zukunft zu sparen. Hier müssen wir Kunden mit möglichst vielen praktischen Beispielen demonstrieren, dass sich Investitionen lohnen – etwa, wenn wir zeigen, welche positiven Effekte digitale Modernisierung in einem Bestandsgebäude oder einer existierenden Anlage haben kann. Wir sind z.B. sehr dankbar, dass ein Unternehmen wie Henkel klar kommuniziert, dass es durch die mit uns umgesetzten Digitalisierungsmaßnahmen 16 Prozent Energieeinsparung im Prozess erzielen konnte. Denn vor allem im Bereich Prozessenergie lässt sich in Bezug auf Energieeffizienz ein großes Potenzial erschließen. Das gilt für Industrieanlagen, aber natürlich auch für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Für all diese Bereiche machen wir mithilfe unserer IoT-Architektur eine ganzheitliche Herangehensweise an das Thema Energieeffizienz möglich. Und bei aller Zurückhaltung: Tatsächlich kann ich konstatieren, dass Beratungen, die wir beispielsweise vor fünf Jahren durchgeführt haben, aufgrund der steigenden Energiekosten und der unabsehbaren Folgen der internationalen Konflikte jetzt vielfach auch zu Aufträgen führen und umgesetzt werden.

Markus Hettig: "Wir müssen Kunden mit möglichst vielen praktischen Beispielen demonstrieren, dass sich Investitionen in mehr Nachhaltigkeit lohnen."
Markus Hettig: „Wir müssen Kunden mit möglichst vielen praktischen Beispielen demonstrieren, dass sich Investitionen in mehr Nachhaltigkeit lohnen.“Bild: Schneider Electric GmbH

Zur Hannover Messe 2023 hatten Sie Ihre Industrial Digital Transformation Services vorgestellt. Sind zwischen diesen und der Nachhaltigkeitsberatung die Übergänge nicht teilweise fließend?

Wenn man, so wie wir, davon überzeugt ist, dass die IoT-Digitalisierung die entscheidende Schlüsseltechnologie für nachhaltiges Wirtschaften ist, dann sind die inhaltlichen Übergänge hier natürlich fließend, ja. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Angeboten ist aber, dass die Nachhaltigkeitsberatung grundsätzlich technologieoffen erfolgt. Hier sprechen wir auch nicht nur die Industrie an. Bei den Industrial Digital Transformation Services geht es dagegen eher darum, einem Digitalisierungsprojekt im Industrieumfeld in all seinen Facetten zum Erfolg zu verhelfen. Hier steht also auch das Changemanagement im Fokus.

Insgesamt hat sich Ihr Geschäft doch sehr in Richtung Services entwickelt…

Ja, neben Nachhaltigkeit und Software ist Service einer der wichtigsten Wachstumsbereiche bei uns. Im Laufe der Jahre haben wir ein großes Knowhow angesammelt, das wir für Beratungsdienstleistungen nutzen, wobei wir uns auf bestimmte Bereiche fokussieren. Darüber hinaus teilen wir unser Wissen mit Partnern, die dann mit den gleichen Tools und Baukästen ihre Kunden beraten können. Denn wir maßen uns nicht an, die Lösungen für alle Industriebereiche zu bieten.

Trotz der Dringlichkeit von Maßnahmen zum Klimaschutz hat man derzeit den Eindruck, dass auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eher eine leichte Klimaschutzmüdigkeit auszumachen ist. Sei es durch finanzielle Engpässe vieler Bürgerinnen und Bürger, internationale Krisen, oder Verdruss über politische Entscheidungen. Trifft dies auch für den Gebäudebereich zu?

Im Gebäudebereich spüren wir eine solche Tendenz nicht. Denn glücklicherweise ist es hier meist offensichtlich, dass Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit auch Maßnahmen für ein attraktiveres und günstiger zu betreibendes Gebäude sind. Ein gutes Beispiel ist etwa die Erneuerung einer 30 Jahre alten Lüftungsanlage. Damit lassen sich massiv Energie und Kosten einsparen. Und das ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass der Markt für Neubauten derzeit rückläufig ist und circa 50 Prozent aller heute vorhandenen Gebäude in 2050 noch existieren werden. Denn damit ist klar: Ich brauche Sanierungskonzepte für den Bestand, die es möglich machen, dort die gleiche energieeffiziente Technik zum Einsatz zu bringen, die ich eigentlich im Neubau realisieren würde. Und natürlich steht auch hier die Digitalisierung im Fokus – etwa, wenn es darum geht, das Effizienzpotenzial einer vorhandenen Gebäudeautomatisierung noch besser nutzen zu können. Auch in einem Bestandsgebäude kann ich die Datentransparenz oft schon mit einfachen digitalen Mitteln erhöhen und diese Daten für das Identifizieren von Ineffizienzen oder das Überprüfen von Optimierungsmaßnahmen nutzen. Sogar BIM kann im Bestand zum Thema werden. In der Vergangenheit haben wir Energieeinsparung eher unter dem Kostenaspekt betrachtet, aber sie hat ja auch einen Nachhaltigkeitseffekt. Somit sind die Krisen, die wir zurzeit durchleben, kein Hinderungsgrund, sondern eher Ansporn und Anreiz, um aktiv zu werden.

Ein praktisches Nachhaltigkeitsbeispiel ist die kürzlich vom Weltwirtschaftsforum in Davos als 'Sustainability Lighthouse' ausgezeichnete Smart Factory im französischen Le Vaudreuil.
Ein praktisches Nachhaltigkeitsbeispiel ist die kürzlich vom Weltwirtschaftsforum in Davos als ‚Sustainability Lighthouse‘ ausgezeichnete Smart Factory im französischen Le Vaudreuil. Bild: Schneider Electric GmbH

Sie sprachen gerade das Thema BIM an, das wir bereits in einem früheren Interview kurz gestreift hatten. Damals ging es vor allem um den Punkt der Kollisionsprüfung. Inwieweit kann der Schaltanlagenbau noch an BIM partizipieren?

Tatsächlich haben wir das Thema gerade mit einigen Kolleginnen und Kollegen besprochen und erörtert, welche Informationen der digitale Zwilling eines Schaltschranks benötigt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass nicht das fotorealistische Abbild des Automaten gefragt ist, sondern Angaben zu Sperrräumen, Gewicht pro Quadratmeter oder den Wartungszyklen der im Schaltschrank verbauten Komponenten. Der digitale Zwilling, der am Ende übergeben wird, soll die für den Facility Manager wichtigen Informationen für die Betriebsphase liefern, sodass dieser z.B. weiß: Es gibt 15 Leistungsschalter, die müssen alle vier Jahre gewartet werden, oder hier sind Komponenten verbaut, die jedes halbe Jahr ein Firmware-Update benötigen.

Also eher Informationen für den Betreiber…

Ja, ganz klar. Ein anderer Aspekt ist: Wie schaffe ich es, Knowhow, das eigentlich der Mensch besitzt, in die Software zu importieren? Denn ich kann von einem jungen Berufsanfänger noch nicht die Erfahrung erwarten, wie von einem versierten Mitarbeiter, der jahrzehntelange Erfahrung angesammelt hat und vielleicht demnächst in Rente geht. Schneider Electric steckt daher sehr viel Energie in die kontinuierliche Anreicherung eines Tool-Baukastens mit Elementen unabhängiger Software-Hersteller wie z.B. WSCAD. Gleichzeitig arbeiten wir sehr intensiv am Thema Normung. Ich bin aktuell z.B. in sieben Normungsausschüssen vertreten, die sich u.a. mit BIM beschäftigen.

Eine neue Studie des IW zum Digitalen Produktpass (DPP) vom September 2023 hat ergeben, dass sich gerade kleinere und mittelgroße Unternehmen immer noch sehr schwer tun, digitale Daten effektiv zu bewirtschaften. Wie kann hier Abhilfe geschaffen werden?

Es gibt zwei Themen, die diesbezüglich greifen: Zum einen muss ich mich als Unternehmen mit dem Thema Datenformate beschäftigen – in diesem Fall Eclass Advanced. Hier ist in der Version 14 jetzt auch das Thema CO2-Fußabdruck mit eingeflossen. Der ZVEI hat hier seit 2021 mit dem Showcase PCF@ControlCabinet ein sehr schönes Praxisbeispiel ins Leben gerufen. Der Digitale Produktpass ist ja im Grunde ein Datenblatt, das ich digital abbilde. Dafür benötige ich die technischen Attribute, die z.B. im Verwaltungsschalenmodell hinterlegt werden, also gewissermaßen der Daten-Container eines Produktes. Das andere Thema besteht darin, dass ich den auf einem Produkt befestigten QR-Code mittels eines Endgerätes scannen und so den digitalen Produktpass aufrufen kann. Das setzt aber voraus, dass ich diese Daten, die mir dann zur Verfügung stehen, auch verarbeiten kann. Hierfür muss ich in Software investieren. Am Beispiel Schaltschrankbau bedeutet dies, ich müsste beispielsweise in eine Stromlaufplan-Software investieren, die in der Lage ist, die im DPP bereitgestellten Daten weiterzuverarbeiten. Ich kenne viele Unternehmen, die mit Software-Versionen namhafter Hersteller arbeiten, die acht bis zehn Jahre alt sind. Dann wird es schwierig mit der Weiterverarbeitung.

Der Panel Server dient dazu, alle Betriebsmittel, Messgeräte und Sensoren über Modbus RTU und über Funk per integriertem Webserver zu visualisieren und nahtlos an Steuerungen und Leittechnik anzubinden.
Der Panel Server dient dazu, alle Betriebsmittel, Messgeräte und Sensoren über Modbus RTU und über Funk per integriertem Webserver zu visualisieren und nahtlos an Steuerungen und Leittechnik anzubinden.Bild: Schneider Electric GmbH

Vermutlich gibt es auch viele Anwender, die eine Software einsetzen, deren Potenzial sie nicht ausschöpfen…

Das kommt noch hinzu. Diese Erfahrung machen ja auch viele von uns, z.B. mit Microsoft-Produkten. Der Standard-User nutzt vielleicht 5 Prozent des Microsoft-Pakets, den Rest nutzt er nicht. Macht er dies nun, weil er nicht weiß, welche Potenziale ihm die Software eigentlich bietet, oder weil er die Funktionen nicht braucht? Ich denke, hier müssen die Hersteller mehr Wissen darüber vermitteln, was es heute bereits gibt und was machbar ist. Dafür dienen Messen, Webinare oder Software-Vergleiche, z.B. in Magazinen.

Gibt es eine Institution, die versucht, die unterschiedlichen digitalen Produktpässe verschiedener Hersteller zu einem Modell zusammenzufügen?

Ja, es gibt Normungsgremien, z.B. auf europäischer Ebene. Wir haben vor rund zehn Jahren zusammen mit anderen Herstellern eine französische Initiative gegründet, den Product Environmental Passport, kurz PEP. Hierbei handelt es sich im Grunde um eine Vorstufe des DPP. Der PEP beinhaltet alle umweltrelevanten Daten eines Produkts im PDF-Format. Das ist aber nur sehr bedingt digital. Normungsbestrebungen auf europäischer Ebene gehen nun in die Richtung, daraus ein Datenmodell zu schaffen.

Dies leistet wohl auch die IDTA…

Ja, auch die IDTA ist in dieser Richtung unterwegs. Mit ihrem derzeitigen Vorsitzenden Dr. Matthias Bölke von Schneider Electric setzt diese auf der Industrie-4.0-Plattform auf. Ferner beschäftigt sich die IEC mit diesem Thema. All diese Initiativen müssen verlinkt werden, sodass keine Parallelwelten entstehen, sondern gemeinsam mit den vorhandenen Ressourcen am gleichen Thema gearbeitet wird.

Sie sprachen eingangs davon, dass Schneider Electric viel Energie darauf verwendet, Wissen zu vermitteln und zu teilen. Was beinhaltet in diesem Zusammenhang das mySchneider Panel Builder-Programm?

Das speziell für Schaltanlagenbauer aufgesetzte Programm bietet den Teilnehmenden zwei wichtige Mehrwerte: Das eine ist Wissensvermittlung und das andere ist Digitalisierungsunterstützung. Bei letzterem handelt es sich um einen Erfahrungsaustausch von Gleichgesinnten. Wir führen etwa zweimal im Jahr bestimmte Spezialveranstaltungen mit dem Partnernetzwerk durch, bei denen sich die Teilnehmer über praktische Themen austauschen. Zusätzlich geben wir Tipps zum Thema Sichtbarkeit bei Ausschreibungen, also eine gewisse Marketingunterstützung.

Das geschieht auf nationaler Basis?

Das Programm läuft auf nationaler und internationaler Basis. Es gibt zahlreiche Schaltanlagenbauer jeglicher Größe, die sich gerne einmal mit internationalen Kollegen austauschen, und es ist sehr spannend zu beobachten, welcher Wissenstransfer hier stattfindet.

Welche anderen wichtigen Themen gibt es derzeit bei Schneider Electric mit Blick auf den Schaltschrankbau?

Ein wichtiges Thema ist Green Steel, das heißt die überwiegende Verwendung von recyceltem und auf Basis von erneuerbaren Energien hergestelltem Stahl für unsere Schaltschränke und Gehäuse. Hierzu sind wir jetzt eine Kooperation mit ArcelorMittal eingegangen, dem weltweit führenden Stahl- und Bergbauunternehmen, das uns künftig mit XCarb-Stählen beliefern wird. XCarb wird am ArcelorMittal-Standort Sestao in Spanien unter Verwendung eines sehr hohen Anteils an recyceltem Stahl in einem Elektrolichtbogenofen hergestellt, der zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom betrieben wird. Das Ergebnis sind CO²-Emissionen, die fast 70 Prozent unter denen eines vergleichbaren Produkts liegen, das ohne XCarb-Verfahren hergestellt wird. So werden die neuen bodenstehenden Stahlgehäuse PanelSeT SFN von unserem Tochterunternehmen Universal Enclosures aus 50 Prozent dekarbonisiertem Stahl hergestellt. Eine weitere wichtige Neuheit ist die PAS800er Reihe, die wir im Bereich Panel Server gelauncht haben. Das Ethernet-Gateway im Schaltschrank dient dazu, alle Betriebsmittel, Messgeräte und Sensoren über Modbus RTU und über Funk per integriertem Webserver zu visualisieren und nahtlos an Steuerungen und Leittechnik per Modbus TCP anzubinden. Damit ist der Panel Server ein flexibler Baustein für jede Energiemanagementstrategie. Alles in allem werden wir auch 2024 wieder zahlreiche neue Lösungen präsentieren, die es unseren Kunden ermöglichen, noch energieeffizienter zu werden.

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